Todmüde sitze ich in Lee im Schneidersitz um die Fockwinsch, die eine Hand fest am Boot und die andere fest an einem kotzenden Crewmitglied. Es ist ungefähr 5 Uhr morgens, der Himmel fängt gerade an ein bisschen heller zu werden und ich frage mich wieder einmal: Was mache ich hier eigentlich? Kurze Zeit später darf ich mich erstmal in die Koje legen und ein paar halbe Stunden schlafen.
Es ist, wonach es klingt: Wir sind wieder unterwegs nach Kiel. Um 16 Uhr erreichen wir den Düsternbrooker Hafen und fühlen uns zwischen Milan, Störtebeker, Zukunft IV und Calypso plötzlich ganz klein… Am nächsten Morgen, dem Samstag, startet die Kieler Woche und für uns das Welcome Race nach Eckernförde. Während wir beobachten, wie ein dänischer Katamaren in einem Affenzahn über die Startlinie fliegt und Richtung Eckernförde abhaut bekomme ich erstmal den Crashkurs „Counting to three – A beginner‘s guide“. Danach packen wir in gut gelaunter Hektik den A4 aus und bereiten uns auf einen Vorwindstart vor. Der Start läuft ganz gut, etwas zu spät an der Linie. Beim Rausfahren aus der Förde können wir uns zumindest auf dem Vorschiff ein wenig entspannen. Ich lerne unter Anderem, dass man bei Outsidehalsen nicht wie verrückt an der Schot ziehen muss, sondern dass man die Arbeit lieber an das Cockpit abgibt. Soweit, so gut. An der Kabeltonne vorm Kieler Leuchtturm gibt es dann wieder was zu tun: Fock hoch, Gennaker runter. Mit Halbwind geht‘s weiter zur Tonne Stollergrund Nord, dort luven wir an und kreuzen auf Mittelgrund Nord zu. Für mich auf dem Vorschiff eine neue Lektion: Zu fünft unterm Baum durch passt nicht! Ich gehe also lieber vor dem Mast durch und versuche dabei, nicht von den Schoten eingefangen zu werden. Außerdem lohnt es sich, in der Wende mitzudenken und sich sofort für das Schürzen der Fock zu positionieren: Das sorgt für weniger Gebrüll aus dem Cockpit. Und ein bisschen schneller werden wir dadurch vielleicht auch. In der Eckernförder Bucht wird es dann noch einmal spannend: Der Kurs macht einen Schlängel zur Nordostecke der Torpedoteststrecke. Wir fallen also erst ein Stück ab, luven dann wieder ein Stück an und kreuzen mit ein paar weiteren Schlägen auf das Ziel zu. Nach 4 Stunden, 6 Minuten und 49 Sekunden gesegelter Zeit laufen wir ins Ziel ein und landen damit auf dem 5. Platz. In Eckernförde nehmen wir dann einen leckeren Aal an Bord und nutzen den Nachmittag für Softschäkel, Downhaulbasteleien und das ein oder andere Anlegebier.
...volle Konzentration im Cockpit
Am nächsten Morgen machen wir das Boot klar für die Rückregatta. Der Wind weht ähnlich wie am Vortag aus Südwest, was für uns einen weiteren Vorwindstart bedeutet. Zuerst pingen wir die Startlinie, dann segeln wir schonmal ein Stückchen entlang des Kurses um eine günstige Startposition zu ermitteln. Wie schon bei der Hinregatta setzen wir den A4 und ruhen uns (zumindest auf dem Vorschiff) erstmal eine Weile aus. Irgendwo in der Bucht fällt die Entscheidung, den A4 gegen den für leichteren Wind geeigneten A2 einzutauschen, Für mich wieder ein neues Erlebnis: Wir fahren einen Peel. Nachdem wir die nötigen Behelfsleinen ausgebracht haben, setzen wir den neuen Gennaker innerhalb des bereits gesetzten und bergen den Anderen danach. Aber warte: Da stimmt doch was nicht? Wieso ist der denn so flach geschnitten? Jetzt wird‘s hektisch: Wir haben den falschen Gennaker gesetzt. Aber dieses Problem lässt sich lösen, wir tauschen kurzerhand nochmal das Segel. Wieder an der Tonne Stollergrund Nord angekommen holen wir gleichzeitig mit der Zukunft IV die Fock wieder raus und luven an bis wir Richtung Kiel Leuchtturm segeln. Schon irgendwie beeindruckend, mitten im Manöver auch noch die Befehle vom gegnerischen Boot mitzuhören… Bis zur Kieler Förde geht es dann wie auf einer Einbahnstraße geradeaus und wir können uns auf dem Vorschiff ein wenig ausruhen. Auf der Zielkreuz liefern uns noch ein kurzes Duell mit dem einschlafenden Wind bevor wir nach 3 Stunden, 30 Minuten und 31 Sekunden gesegelter Zeit wieder in Kiel ankommen.
...und Spaß auf der hohen Kante
Nach drei Tagen Pause treffen wir uns wieder am Boot zum Senatspreis. Bei Westwind fahren wir diesmal einen Halbwindstart und holen kurz nach Überqueren der Startlinie den Code Zero an Deck. Da ich das Segel noch nie gefahren bin, geschweige denn angeschlagen habe, kommt der Taktiker kurzerhand selbst aufs Vorschiff um mich einzuweisen. Natürlich mit dem Ziel, das Segel schnellstmöglich zu setzen, schließlich hatten die anderen Yachten auch schon die Fock gegen was schickeres getauscht. Mit dem Code Zero am Mast segeln wir aus der Förde raus, während uns der Wind und der Taktiker weiterhin fordern: Ein Segel nach dem Anderen wird aufs Vorschiff geholt, angeschlagen, wieder abgeschlagen, halb gesetzt und doch wieder geborgen. Als wir dann endlich anluven und unter Fock 2 über den Stollergrund fahren essen wir erstmal völlig durchgeschwitzt ein paar wohlverdiente Schokoriegel. Die Wettfahrtleitung schickt uns abermals in die Eckernförder Bucht und lässt uns den inzwischen wohlbekannten Schlängel zur äußeren Begrenzung der Torpedoteststrecke fahren. Diesmal geht es aber nicht nach Eckernförde rein, sondern nach Norden, um ein kleines Sperrgebiet rum und dann wieder raus auf die Ostsee. Dort setzen wir wieder einen Gennaker, peelen aber kurze Zeit später auf einen flacher geschnittenen. Diesmal achten wir darauf, das richtige Segel anzuschlagen und so komme ich in den Genuss einer kleinen Flugübung um nach dem Peel die Schoten umzubauen. Bei Gabelsflach ändern wir den Kurs Richtung Kiel Leuchtturm, dort angekommen bergen wir den Gennaker und luven weiter an. Hier lerne ich mal wieder, wie man als Vorschiffscrew die Manöver auf Bootsgeschwindigkeit optimiert: Nach dem Bergen sofort auf die hohe Kante setzen, Fallen und Schoten erst aufklaren, wenn das Boot auf den neuen Kurs eingetrimmt ist und Fahrt aufgenommen hat. In der Förde lässt der Wind wieder etwas nach und wir setzen den Code Zero um die Geschwindigkeit zu halten. Bei wenig Wind entpuppt der sich als eine wahre Wunderwaffe. Nach 6 Stunden, 49 Minuten und 34 Sekunden gesegelter Zeit laufen wir auf dem 5. Platz ins Ziel ein.
Jonas
Unsere wunderschönen Regattasegel