Ausführlicher Reisebericht der Teilname der Universitas am Rolex Fastnet 2021
Tag 1: 08.08.2021 - Sonntag – Start und wie man eine Crew kaputt macht
Es ist endlich soweit, heute startet das Rolex Fastnet Race. Früh um 6:30 Uhr klingelt der Wecker. Alle ein wenig aufgeregt, werden schnell die Klamotten für die Woche angezogen. Dann heißt es Leinen los, das Race kann kommen. Auf dem Weg zur Startlinie deutet sich schon das an, was uns an diesem ersten Regattatag erwarten wird: Der Wind bläst immer wieder mit Böen weit über 30 Knoten über die schützende Abdeckung der Isle of Wight. Wie passend, dass beim Einchecken die orangenen Sturmsegel gesetzt und vorgezeigt werden müssen. Schon mit dieser kleinen Segelfläche rauschen wir mit ordentlich Speed zu unserem Check-In Gate. Da kommen bei manchem Crewmitglied Zweifel auf, wie wir bei dem Wind mit unseren Regattasegeln bestehen sollen.
Keine Zweifel kommen aber beim Anblick der anderen Boote auf, die in der Umgebung der Startlinie kreuzen. In Sichtweite schwimmt alles, was Rang- und Namen hat und weit darüber hinaus. Doch viel Zeit bleibt nicht zum Bewundern der ganzen Schiffe. Das Wetter und die Vielzahl an Booten im Startbereich verlangen uns viel Aufmerksamkeit ab.
Die Zeit vergeht schnell und schon ertönt das Ankündigungssignal für unseren Start. Während manche tatsächlich die Sturmsegel gesetzt lassen, gehen bei uns das Groß im ersten und einzigen Reff und die J4 hoch. Das funktioniert zunächst ganz gut. In den Böen hilft aber auch das Gewicht auf der Kante nicht mehr und wir müssen immer wieder Druck aus dem Großsegel herauslassen.
Nach der engen Startphase folgt die lange Kreuz aus dem Solent. Viel Platz ist hier nicht und um den von hinten schiebenden Strom bestmöglich auszunutzen sind viele Wenden erforderlich. Wir erreichen schließlich die Needles am Ausgang des Solent. Die Wind-gegen-Strom-Situation erzeugt hier in der Engstelle neben der Shingles Sandbank eine unglaublich steile und hohe Welle. Es dauert nicht lange, doch die paar großen Berge duschen uns auf der Kante kräftig. Das Wasser findet seinen Weg durch Ärmelöffnungen, Kragen und bei einigen auch direkt durchs Ölzeug. Wenn man dann oben angekommen ist, fällt das Schiff gefühlt mehrere Meter wieder herab. Scheinbar sorgt dies auch aus der Luft für beeindruckenden Bilder, denn der Hubschrauber mit dem Kamerateam kreist für einige Zeit über uns.
Bis jetzt haben wir das Geschehen noch interessiert beobachtet und mit Humor genommen. Doch plötzlich kommt kurze Panik auf, als die Anzeigen und der Computer ausgehen. Die Aufschläge in den Wellen haben einen Wackelkontakt in der Stromversorgung unserer Navigationselektronik zum Vorschein gebracht. Zum Glück lässt sich dies schnell beheben. Wenig später folgt der nächste Schreckensmoment, als der Großschoter einen Riss im Achterliek des Großsegels entdeckt. Wir evaluieren kurz die Lage und kommen zu dem Schluss, dass ein Bergen des Segels zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll ist. Das Segel ist klatschnass und eine Reparatur daher aussichtslos. Wir versuchen nun den Druck im Segel mit mehr Höhe auszugleichen und ziehen als Unterstützung die Rayleine noch fester an (diese reguliert die Spannung am Achterliek). So flattert das Liek weniger und es besteht Hoffnung, dass der Riss nicht größer wird. Bei einigen anderen Crews um uns herum läuft die Startphase deutlich unglimpflicher ab. Immer wieder gehen Pan-Pan und Mayday-Rufe über Funk ein. Von Weitem sehen wir sogar einen Katamaran ohne Mast und Großsegel. Da erscheinen unsere Probleme gar nicht mehr so groß.
Auch nachdem wir die Needles passiert haben, bleibt es ungemütlich. Immer wieder werden das Boot und alle an Deck einschließlich Steuermann gründlich geduscht. Nach und nach steigen die ersten unfreiwillig aus. Völlig durchnässt, hat bei ihnen die Seekrankheit ein leichtes Spiel. Gut, dass wir mit ausreichend Crew gestartet sind. Unser Navigator Philipp ist zum Glück seefest und das ist auch gut so. Kurz nach dem Start verschwindet er für den Rest des Rennens unter Deck und widmet sich dem Kurs. Das Fastnet Race ist taktisch eines der anspruchsvollsten Rennen. Zahlreiche Tidal Gates entscheiden schon auf den ersten 150 Seemeilen wer auf den hinteren Rängen landet. Hier sind gut durchdachte und frühzeitige Entscheidungen vonnöten.
Zum Abend starten wir ins Wachsystem. Im dreistündigen Rhythmus wechseln sich nun drei Teams (I: Jannis, Jan-Eric, Noa; II: Jonas, Wito, Johann; III: Anabel, Marius, Johannes) mit Wache, Standbywache und Freiwache ab. Philipp fährt wachfrei. Ein herausfordernder, anstrengender und beeindruckender erster Renntag geht zu Ende.
Tag 2: 09.08.2021: Montag – Der Strom diktiert den Weg
Der nächste Tag begrüßt uns sanfter. Der Wind lässt nach und die Kreuz wird deutlich material- und magenfreundlicher, so dass nach und nach alle wieder Appetit bekommen. Vermeintlich vorausschauend hatten wir in Vorbereitung auf den ersten harten Tag Brot und Couscous-Salat vorbereitet. Ein Fehler, wie sich beim ersten Bissen vom Salat herausstellt. Die tropischen Verhältnisse unter Deck haben wohl die Fäulnisprozesse beschleunigt, sodass unsere geplante Mahlzeit ungenießbar geworden ist. Etwas enttäuscht müssen wir doch wieder zum trockenen Brot greifen. Natürlich ist dies alles nur Nebensache und soll an dieser Stelle gar nicht weiter Beachtung finden.
Wir segeln gut voran und erreichen am Abend Lands End. Die Küste bietet uns hier ein atemberaubendes Schauspiel: Karge, vom Wetter gezeichnete Felsen stellen sich der Brandung entgegen. Oben schließen grüne Wiesen an, mit vereinzelten Häusern, die direkt an der Kante stehen. Die mystische Stimmung wird durch die tief stehende Sonne und eine schwer stöhnende Heulboje verstärkt. Wieder steht hier der Wind der starken Strömung entgegen. Diesmal bilden sich keine großen Wellen. Die See brodelt an der Stelle jedoch wie in einem Wasserkessel. So schnell wie diese Szene entstanden ist, so schnell verschwindet sie auch wieder. Gestern haben wir uns mal wieder gefragt, warum wir und so viele Segler sich das eigentlich antun. Doch genau solche Momente machen die harten Anstrengungen absolut wieder wett.
Anmerkung aus dem Taktik-Team:
Während einige an Deck die malerischen Bilder der Landschaft abspeichern, stehen unter Deck in der Naviecke wieder wichtige Entscheidungen an. Der nächste Wegpunkt sind die Scilly Islands. Hier liegt ein Verkehrstrennungsgebiet (VTG) im Weg, so dass sich drei mögliche Routen ergeben. Bei den vorherrschenden Wind- und Stromverhältnissen kommen zwei davon in die engere Auswahl. Wir entscheiden uns mit raumerem Wind und mehr Geschwindigkeit in die Nordroute abzubiegen. So steht der erste von vielen Segelwechseln in kurzer Zeit an: Von J3 auf Code 0 auf A2 auf J2. Für fast jeden Wind haben wir das passende Vorsegel dabei. Nachdem die Nordecke des VTG passiert ist, kreuzen wir in Richtung Fastnet Rock.
Auch der zweite Regattatag bleibt herausfordernd. Der Weg zum Rock verspricht weniger Wind und Manöver, höchste Zeit für die ausgelaugte Crew in den Freiwachen Schlaf nach-/vorzuholen und eine warme Mahlzeit in den Magen zu bekommen.
Tag 3: 10.08.2021: Dienstag – Ein Blitz alle 5 Sekunden
Die Nacht bleibt wie erwartet ruhig und beschert uns den vorhergesagten Winddreher mit dem wir die Segel auf Halbwind trimmen und zügig Meilen gen Felsen gut machen können. Sorgen bereitet uns jedoch die Wettervorhersage. Auf dem Rückweg vom Rock erwartet uns eine Front, die viel Wind und Wasser von oben mit sich bringen soll. Da das kaputte Großsegel noch immer wie ein Damokles-Schwert über uns hängt, entscheiden wir uns in voller Fahrt das Großsegel zu bergen und einen Reparaturversuch zu wagen. Unser Skipper ruft ein All-Hands-on-Deck-Manöver aus und schnell pellt sich die Freiwache aus den Schlafsäcken. Das Großbergen funktioniert wider Erwarten gut und der Geschwindigkeitsverlust bleibt verkraftbar, denn nur mit Fock fahren wir noch mit 6 Knoten weiter. Philipp und Jannis kümmern sich um die Kunst des Segelklebens. Als hätten wir sowas schon öfter gemacht, klappt alles reibungslos und nach kurzer Zeit geht das Groß in gewohnter Form wieder hoch und steht, als wäre nichts gewesen. Insgesamt ein gelungenes Manöver. Nun müssen wir hoffen, das unsere Notreparatur die nächsten Tage übersteht.
Im Vorfeld der Regatta bekamen wir den Tipp, uns den Fastnet Rock vorher auf Fotos anzuschauen. Man würde den Felsen eh nachts umrunden und gar nicht zu sehen bekommen. So ergeht es uns dann tatsächlich. Wir erreichen den Rock kurz nach Mitternacht. Sprühregen und Nebel machen die Nacht zu einer der kältesten während der ganzen Regatta. Den Umständen entsprechend ist auch die Sicht eingeschränkt. In der Ferne taucht nur das Licht des Leuchtturms auf und auch beim Näherkommen ist noch nichts vom Felsen zu sehen. Ganz nah am Rock ist die Kennung des Leuchtfeuers von allen Seiten gleichzeitig zu betrachten. Fast wie bei einer Lasershow strahlen die vier Lichtstrahlen in den Nebel hinein. Kurz vermag man in einem Moment zu erahnen, dass unter dem Lichtkreuz irgendeine Art Brocken sein muss, der den Leuchtturm in der See hält – vielleicht ist dies aber auch nur Wunschdenken. Viel Zeit zum Betrachten bleibt aber eh nicht, denn die Rundung ist eng, sodass konzentriert navigiert und gesteuert werden muss. Dann wird gewendet und schon verschwindet die ganze Szenerie wieder in der Nacht.
Fazit des Tages: Für eindrucksvolle Bilder vom Rock bräuchten wir wohl ein schnelleres (oder langsameres) Boot. Wir verweisen für Bilder an dieser Stelle daher auf die offizielle Berichterstattung des RORC.
Tag 4: 11.08.2021: Mittwoch – Schlimmer geht immer
Die Etappe vom Rock zurück wird zunächst ungemütlich. Wie vorhergesagt frischt der Wind kräftig auf. Auf dem Halbwindkurs sind wir bei den Böen bis 25 Knoten überpowert und die Sorge um das Großsegel ist groß. Optimal wäre ein Windwinkel von 80 Grad. Doch trotz maximalen Körpereinsatz an Ruder und Großschot können wir die Höhe meist nicht halten. Zusätzlich zehren Sprühregen, Kälte und Müdigkeit an den Kräften. Die Wellen klatschen immer wieder von der Seite an den Rumpf und spülen das Deck ordentlich durch. Von unten durch den Niedergang betrachtet sieht das alles aus wie in einer Waschmaschine. Nur leider weiß man nicht so genau, auf welcher Seite das Innere der Maschine ist. Draußen wie drinnen ist alles nass und salzig. Die Situation unter Deck wird langsam unerträglich. Die hohe Feuchtigkeit durchnässt das Ölzeug in der Freiwache auch von innen. Nichts trocknet mehr und das schon seit 3 Tagen. Den Geruch der sich hier entwickelt hat, möchte man gar nicht erwähnen… Philipp versucht die Crew zu motivieren: Für den Abend sei Flaute vorhergesagt, da würden wir uns ganz schnell den Starkwind zurückwünschen. Für alle anderen ist dies in dieser Situation wenig vorstellbar.
Über den Tag überholt uns die Front. Der Wind dreht weiter achterlich und beschert uns schönes Gennakersegeln. Zur Erleichterung aller stellen wir zudem fest, dass unsere Großreparatur gehalten hat. Zunächst unter A4, später unter A2 rauschen wir zu den Scilly Islands. Eine kleine Challenge auf dieser Regatta ist die Suche nach Internet, um an neue Wetterdaten zu gelangen. Wir entscheiden uns daher nahe an die Inseln heranzufahren, um eine Netzwelle zu erwischen. Auf Grundlage dieser Daten werden wir später die Route zwischen dem Alderney Race und dem Casquets VTG planen.
Jetzt ist jedoch erstmal die kurzfristige Prognose von Relevanz und diese bringt uns nun tatsächlich Flaute – viel Flaute. Der rückblickend schlimmste Moment des Rennens ist eingetroffen. Nicht einmal ein Hauch ist über dem Wasser zu spüren. Bleiern wabert das Wasser neben dem Schiff und unsere Bootsgeschwindigkeit sinkt immer wieder auf 0 Knoten herab, während die Boote hinter uns mit dem Restwind aufholen können. Wir müssen tatenlos zusehen, wie der ganze erarbeitete Vorsprung verschwindet. Nach einer gefühlten Ewigkeit erbarmt sich der Wind und kehrt wieder zurück. Mit einer leichten Brise können wir den Code 0 ausrollen und nehmen zunehmend Fahrt Richtung Cherbourg auf. Der Schlussspurt auf den letzten 150 Seemeilen ist eröffnet.
P.S.: Einhellige Meinung der Crew in der Flaute: „Wir wollen den ungemütlichen Starkwind zurück!“
Tag 5: 12.08.2021: Donnerstag – Ein Rennen gegen die Zeit
Am letzten Tag wird es nochmal richtig spannend. Auf dem Kurs nach Cherbourg besteht die Option, das Alderney Race zwischen der Insel Alderney und dem Festland zu befahren. Zur aktuell vorherrschenden Springzeit kann man dort mit bis zu acht Knoten mitlaufendem Strom noch kurz vor dem Ziel viele Meilen gewinnen. Bei Gegenstrom allerdings ist es dort fast unmöglich vorwärts zu kommen. Das Timing ist daher entscheidend! Unser Routingprogramm ermittelt, dass wir rechtzeitig am Alderney Race ankommen, um den Strom zu unserem Vorteil nutzen zu können. Doch die Daten stammen vom Vortag und häufig stimmt die Vorhersage nicht mit der Realität überein. Die Herausforderung besteht nun darin, die vorhergesagten und tatsächlichen Windbedingungen zu vergleichen. Sind wir zu langsam, besteht die Gefahr, dass sich das Tidal Gate schließt, bevor wir das Alderney Race passiert haben.
Unter Code 0 kommen wir zunächst noch gut voran. Doch der Wind nimmt weiter zu und weht bald mit über 15 Knoten. Nun fehlt uns das richtige Vorsegel – für den Code haben wir zu viel Wind, mit Fock wären wir zu langsam und für den A5 ist der Winkel etwas zu spitz. Wir setzen dennoch den A5 und versuchen möglichst hoch zu fahren. Jetzt muss die Crew wachsam sein, um in den Böen rechtzeitig zu reagieren und Sonnenschüsse zu verhindern. Dennoch sacken wir wie erwartet im Feld immer weiter auf die linke Seite. Der Wind dreht nun wie vorhergesagt raumer und es ergeben sich zwei Optionen für uns: Mit dem A4 tiefer fahren oder weiter mit dem A5 segeln und uns im Feld wieder nach rechts arbeiten. Wir entscheiden uns für letztere Variante, denn wir erwarten später einen Winddreher. Dieser kommt dann auch, jedoch leider später und nicht so ausgeprägt wie erhofft. Einige Stunden später befinden wir uns auf unserer gewünschten Seite direkt vor der Küste Guernseys. Jetzt müssen wir starke Nerven behalten, denn immer wieder flaut der Wind ab. Das Rechnen beginnt: Schaffen wir es rechtzeitig, bevor der Strom kippt? Wir probieren nun noch möglichst viele Meilen mit dem mitlaufendem Strom gut zu machen. Nach ein paar zähen Stunden ist endlich das Cap de la Hague querab. Nun müssen wir halsen. Bei 0 Knoten Wind und 5 Knoten SOG durch den Strom ist dies eine ziemliche Herausforderung. Jetzt haben wir noch ein taktisches Ass im Ärmel: Durch einen kleinen Nordbogen können wir den Strom noch länger ausnutzen und so noch ein paar unserer Konkurrenten versegeln. Unsere Taktik wird später von ein paar Profis kopiert, zumindest bilden wir uns das ein.
Jetzt geht es mit einem letzten Segelwechsel auf die Zielgerade. Um 02:35 Uhr werden wir abgetutet und schon ist das Rennen für uns vorbei. Am Steg in Cherbourg werden wir mit Bier von der Crew der Störtebeker begrüßt. Die Frage, ob wir das Rennen in dieser Konstellation noch einmal segeln würden, bejahen alle von uns sofort. Freude bereitet uns auch der Blick in die Ergebnisliste, denn wir erreichen Platz 13 von 48 Schiffen in unserer Gruppe. Müde aber zufrieden feiern wir noch ein bisschen unsere Ankunft. Da sind die Strapazen der letzten Tage schon fast vergessen...
Wir danken unserem Verein, der Rostocker Volks- und Raiffeisenbank eG, der Rostocker VR- Versicherungskontor GmbH, Fleetmon, der hanseatische Brauerei Rostock, der Segelwerkstatt Warnemünde und allen Unterstützern, dass wir solch tolle Projekte angehen können.
Liebe Grüße von der Uni-Crew
Anabel, Jan-Eric, Jannis, Johann, Johannes, Jonas, Marius, Noa, Philipp und Wito