• Akademischer Segler-Verein zu Rostock e.V.,Uferpromenade 1, 18147 Rostock

Zur Geschichte der BOE

Es fällt nicht leicht, nach über 20 Jahren, die Entstehung dieses Vereinsbootes zu rekapitulieren. Im Grunde genommen, liegt die „Geburt” dieses hübschen Hiddensee-Vierteltonners schon über 30 Jahre zurück, denn der Rumpf entstand in derselben Zeit, wie die Karkassen von RASMUS, ZEPHIR, YELLAND und FENT III und fleißig daran „herumgetupft” haben etliche alte HSG-Segelfricks um Dittmar Kirsten, Hainer Hermann, Steffen Grau ....

Wie in der DDR üblich wurde Material auf Vorrat beschafft, die Haltbarkeitsdauer von Polyester ist jedoch begrenzt. Zu wertvoll war es auch, um es als Sondermüll auf eine Deponie zu bringen, also wurde die BOE schon mal auf Kiel gelegt, vielleicht findet sich ja noch ein Interessent, daraus ein fertiges Boot zu bauen.


Egon Maier und Bernd Lange hatten nach einigen Jahren des Umherirrens und einer seglerischen Nichtzugehörigkeit zu einem Verein gerade bei der Sektion Segeln der HSG Universität Rostock eine „neue Heimat” gefunden und segelten eigentlich auf der SHANTY unter Klaus Fethke ziemlich erfolgreich, waren wohl auch gerade in dieser Mannschaft und mit diesem Schiff DDR-Meister geworden.
Ich denke mir, die Idee aus dem in einer Ecke der Bootshalle herumliegenden Rumpf ein Boot zu bauen, wurde wohl in der Freundesrunde in der Sauna von Hildeliese Krause in Lambrechtshagen geboren und ganz nach Egons Wahlspruch „Wir müssten doch ... dieses, jenes so oder so machen” in Angriff genommen.
Nun, was macht man nicht alles mit und für Freunde — Bernd Lange ließ sich zum zweiten Mal überreden, einen Hiddensee-Vierteltonner zu bauen, er hatte ja auch sonst nichts weiter zu tun. Hatte er doch gerade erst sein Vierfamilienhaus im Tweelviertel gegen ein total verwahrlostes Ziegeleigelände in der Nähe der Müritz eingetauscht und dies alles für einen eigenen unvollendeten Vierteltonner, für ihn hatte damals eigener Wohnraum für die Familie eine höhere Priorität als ein eigenes Segelboot.
Ein Boot zu bauen — in der DDR der 80iger Jahre war alles andere leichter als das, aber fast die einzige Möglichkeit zu solch einem begehrten Objekt zu kommen. Aus meiner heutigen Sicht frage ich mich natürlich, warum mein Freund Egon mich so hartnäckig dazu gedrängt hat, meine bei Hans-Werner Harrmann beim Mitbau von 5 Vierteltonnern (darunter mein eigener) erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten in dieses Boot einbringen zu können. Und, die finanziellen, materiellen und organisatorischen Voraussetzungen an der HSG für einen Neubau sahen ja nicht schlecht aus — mit Karl und Heinz Behncke hatten wir zwei wirklich exzellente Bootsbauer und mit Klaus Fethke als Sektionsleiter und Peter Wenzel, dem technischen Leiter an der Sektion Sportwissenschaft der Universität zwei unermüdliche Förderer zur Seite.
Und damit - auf Grund der fehlenden Decksschale - schon eine 100%ige Garantie dafür, einen ganz anderen, prinzipiell einen einmaligen Hiddensee-Vierteltonner zu bauen.

Ein gut aussehendes, stabiles, geräumiges und möglichst nicht langsames Fahrtenschiff sollte es werden. Mit der nur kriechend zu begehenden GERMON von Fiko Rostock als abschreckendes Beispiel und mit unseren Raum-Erfahrungen auf dem polnischen Taurus-Eintonner KLAUS STÖRTEBEKER bei Schiffahrt/Hafen vor den Augen entstand ziemlich schnell im Winter 1983/84 auf Egons Reißbrett das heutige Gesicht der BOE, das eigentlich überall, wo die BOE auftaucht, Bewunderung und Anerkennung findet.
Was dann folgte, können nur diejenigen unter uns nachvollziehen, die in der DDR ein eigenes Schiff gebaut haben — eine „unendliche Geschichte” so abenteuerhaft und oft kaum zu glauben.
Alle Dinge, die heute in ihrer Gesamtheit die BOE ausmachen, gab es ja, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie vielleicht Schrauben und Nägel, nicht einfach zu kaufen. Kreuz und quer durch die Republik fuhr ich mit meinem Trabbi, oft mit Anhänger, um z.B. von Oschatz Glasmatte und -gewebe, von Buna das begehrte Polyesterharz und Styrol, von Freiberg Niro-Material, von der F/E-Stelle des BDS Epoxidharz und von Grevesmühlen Mahagoni-Holz zu holen. Abfallrohrenden von Firmen, die für Molkereien arbeiteten, für Bug-, Heckkorb und die Relingsstützen, Nirodraht für Wanten und Fallen, Polster, diverse Segel, 2 komplette Riggs vom VEB Müggelspree, Blei für den Kiel, den Hansi Kühl baute, E-Kabel, Autobatterien, Lampen, zertifizierte Posilampen, Kompass, Bergseile für die Schoten - Egon war unermüdlich beim „Organisieren”, ein geläufiger Begriff für die „Schattenwirtschaft” in der DDR. Man musste wirklich viele gute Bekannte und deren Bekannte haben, um solch ein Projekt durchziehen zu können.
Nachdem wir einmal angefangen hatten, den Rumpf innen durch endloses Auskratzen und Schleifen vom jahrelangen Dreck zu befreien und mit Kielschwein, Längsstringern, Spanten und Bodenwrangen zu versteifen, gab es kein Zurück mehr, dafür sorgten Karl und Heinz, die mit einer unglaublichen Professionalität den Innenausbau vorantrieben und uns ständig „im Nacken saßen”. Schon beim Einkleben der den Rumpf erhöhenden doppeltgeleimten Schergangsplanke, konnte man sehen, dass die beiden uns ein in allen Verbänden überaus festes Boot bauen würden und - heute nach 20 Jahren zeigt ihre Qualitätsarbeit noch nicht die geringsten Schwachstellen.
Immer wieder bin ich auch jetzt noch von der meisterlichen Arbeit unserer Bootsbauer begeistert, wobei man sagen muss, dass wohl Heinz den Hauptteil handwerklich bewältigt hat und Vater Behnke mehr oder weniger den Kurs bestimmte. Über dieses Vater-Sohn-Verhältnis gibt es in unserem Verein so manche nette Geschichte, mit dem Bau der BOE fand es quasi seinen, kann man sagen krönenden Abschluss? Denn Vater Karl überlebte die Taufe der BOE nicht mehr sehr lange, aber mit ihr hat er sich fest in unsere Erinnerung eingeschrieben.

Die Bauzeit der BOE ist mit viel Stress aber auch mit vielen Erfolgserlebnissen und netten Begebenheiten verbunden, aus deren Fülle ich symptomatisch mal drei herausgreifen möchte, weil sie auch jetzt noch zum Schmunzeln anregen.

Der Kiel wurde, wie schon erwähnt von Hansi wohl in Serie gebaut, denn dieselbe Bauart und Bauform (ein sogenanntes Naccaprofil) ist auch bei anderen Vierteltonnern zu finden. 550 kg sollte er wiegen und sein Masseschwerpunkt möglichst tief liegen, also kam nur Blei in Frage. Die „Alte Lady” - unsere alte UNIVERSITAS „spendete” uns von ihrem erleichterten Kiel einen ziemlich großen Batzen, mit Wasserrohren und Druckerblei wurde der Rest zusammengesammelt. Der hohle Blechkiel wurde in die Schmiede der Sektion Landtechnik an der Uni geschafft, kurzentschlossen eine Gießpfanne gebaut, um im Schmiedefeuer das mit Äxten und Schrotsägen zerkleinerte Blei zu verflüssigen und es portionsweise in den mit Schweißbrennern vorgewärmten Kiel zu gießen, etwa 420 kg verschwanden darin. Bei meinen Kollegen in den mechanischen Werkstätten an der Universität fand ich in den meisten Fällen eine wohlwollende Unterstützung, hatte doch Klaus Fethke bereits eine Tradition, das jährliche Aussegeln des Meisterkollektivs eingeführt und selbst der Rektor war im Team der UNIVERSITAS integriert und so gelangte manche Mark aus dem K- und S-Fonds der Universität über die HSG-Leitung zu unserer Sektion Segeln und ermöglichte selbst dem ärmsten Segelbegeisterten ein nahezu unbeschwertes Ausüben seines Hobbys. Sogar Freistellungen von der Arbeit erhielt man bei „guter Führung” für die Teilnahme an den DDR-Meisterschaften und an internationalen Veranstaltungen und jeder, der auf der Ostsee segeln wollte und nicht in den Maschen der Stasi hängen blieb, gehörte quasi zu einer recht großen und feierfreudigen Fan-Gemeinde, man begegnete sich recht häufig und verlor sich nicht wie heute zwischen den Tausenden Yachten, die jetzt ostdeutsche Häfen anlaufen, aus den Augen. Sicher steckt in meinen Gedanken etwas Nostalgie, die Joachim Burkhardt in seinem Buch „Ein Film für Goethe” als die sonderbarste Form des Heimwehs bezeichnet.
Nun, ich denke, dass man es jedem Menschen zugestehen muss, sich gerne an unbeschwerte Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend erinnern zu dürfen und die Entstehung der BOE ist mit so vielen Erfolgserlebnissen verbunden, auf die jeder Beteiligte durchaus noch heute stolz sein kann.

Ich hatte bereits erwähnt, dass wir uns — ich weiß nicht mehr warum — von Berlin zwei für uns extra verlängerte Masten, zwei Großbäume, vier Spinnakerbäume und eine Rollfockvorrichtung abholen konnten. Wie transportiert man 10 Meter lange Masten über 250 km mit geringstem Kostenaufwand? Natürlich mit dem Trabbi und einem entsprechend modifizierten, ca. 5 m langen Bootshänger, gleich hinter der Kupplung auf der Zugstange des Hängers wurde die erste Mastauflage montiert.
Nach dem Verzurren bei „Müggelspree” sah die Fuhre richtig nach „Langholztransport” aus, ein Meter ragte der Mast hinten heraus und das zweite Mastende konnte ich gut vor mir über der Motorhaube sehen, d.h. solange es geradeaus ging.
Ging es aber nicht immer, schon beim Hinausbiegen auf die Straße, also rechtwinklig weg, erkannte ich, auf was für ein Abenteuer ich mich eingelassen hatte. Wer die engen Straßen von Köpenick kennt, wird mir nachempfinden können, dass ich „Blut und Wasser” bei einem abbiegenden Straßenverlauf geschwitzt habe, um mit dem ausschwenkenden Mastende keine Hauswand, Fußgänger oder Fahrzeug zu erwischen.
Es kam natürlich noch ganz dick — vor mir regelte eine „weiße Maus” (Verkehrspolizist) eine Kreuzung und ich — musste links abbiegen, also einordnen und auf die 3-Seitensperrung warten. Klappte auch, der Polizist bückte sich unter dem ausschwenkenden Mast weg. Richtig Kumpel, dachte ich noch und hätte fast den schrillen Pfiff überhört - also rechts ran!
„Guten Tag, ihre Fahrzeugpapiere bitte!” und dann „Was haben Sie wohl falsch gemacht?”
Ich mimte den Unschuldigen, stieg aus und schaute meine Fuhre an. „Wo ist ihre rote Kennzeichnung für den Ladungsüberhang hinten?” Ich guckte verdutzt, der rote Lappen war weg, nur das Bändsel flatterte noch und überzeugte den Ordnungshüter, dass da mal einer hing. Zum Glück hatte ich einen weiteren roten Putzlappen im Kofferraum und wurde von dem guten Mann mit „Na dann — gute Reise!” entlassen.

1985 erholten sich etliche HSG-Segler (Egon, Hanne und Elisabeth Maier, Inge und Bernd Lange, Eddie, Klaus Fethke, Holger, Brigitte und Christin Raths, Renate und Gunther Dümcke und Christian Claussen) in Varna am Schwarzen Meer.
Egon hatte über den Schiffbau Verbindungen zum Segelverein der dortigen Werft geknüpft, wir erhielten einen Halbtonner, die ALNITAK, um sehr erfolgreich an einer Regattaserie teilzunehmen und hatten auch sonst viel Spaß beim Baden und Wandern unter subtropischen Klimaverhältnissen. Besonders der 21. Hochzeitstag des Ehepaares Lange wurde für alle auf der großen Vereinsyacht ALPHA, einem Zweimaster, zu einem unvergesslichen Höhepunkt, mit einem überaus reichhaltigen Muschel- und Fischdinner und einem vergnüglichen Melonen-Wasserballspiel bei über 1000 Meter Wassertiefe in der Gesellschaft von Delphinen. Aber, was hat das mit der BOE zu tun?
Nun, Egon hatte ein Foto mitgebracht und 1986 wurde, als nur noch die fast fertige BOE in der Bootshalle stand und von Malermeister Gerd Brinkmann, einem Segler bei Motor Rostock, die weiße Lackschicht aufgespritzt worden war, durch das Hallenfenster mit einem Dia-Projektor das BOE-typische Streifenlayout auf den jungfräulichen Rumpf übertragen. Es mag sein, dass diese Streifen auf dem Schwarzen Meer immer noch unser Vorbild zieren, uns hat es jedenfalls auf der Ostsee unverwechselbar gemacht.

Übrigens, konnten schon kurz nach dem Stapellauf im Juni 1986 — Taufpatin war die kleine Elisabeth Maier, die auch heute wieder fest zur Crew der BOE gehört — die ersten Gäste, unsere bulgarischen Gastgeber von 1985, mit diesem hübschen Boot die Gewässer um Rügen unsicher machen.
Seitdem haben über 300 nicht zur Crew gehörende Personen, viele Mitglieder des ASV, viele Angehörige der Universität, viele Kinder, Jugendliche und Studenten, Familienangehörige und Freunde auf der BOE, manchmal wenige, oft aber viele, sicher unvergessliche Stunden bei Segeltörns auf der Warnow, auf der Ostsee vor Warnemünde bis nach Bornholm, Gotland oder durch die dänische Inselwelt erlebt.
Die BOE wird sehr intensiv von der Crew (und dazu gehören drei Vereinsehepaare) während der kurzen Segelsaison genutzt, sicher auch für Urlaubszwecke auf der Trauminsel alter DDR-Segler, der Insel Hiddensee. Aber wer sich das Fahrtenbuch der BOE genau ansieht und mit anderen (vielleicht existierenden?) Fahrtenbüchern unserer vereinseigenen Yachten vergleichen kann, wird feststellen, dass auf der BOE immer wieder junge Menschen die Grundlagen einer soliden Seemannschaft erlernt haben oder es noch können und somit neue Mitglieder des ASV geworden sind oder es auch noch werden können.

Ich persönlich bin froh, dass ich in unserer Taufpatin und in ihrem Ehemann Segler gefunden habe, die hoffentlich auch in noch fernen Jahren die BOE für ihren Bestimmungszweck erhalten werden, nämlich Menschen Freude am Sichausprobieren mit den Naturkräften, dem ewigen Spiel von Sonne, Wind, Wasser und Land zu vermitteln.

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